23. März 2023

Wie schwer ist ein W-Boson? Wie schwer ist ein W-Boson?

Physikerinnen und Physiker stellen neues Resultat des ATLAS-Teilchendetektors vor

Das W-Boson ist das Austauschteilchen der elektroschwachen Kraft. In den 1980er Jahren am Kernforschungszentrum CERN entdeckt, bleiben seine Eigenschaften innerhalb des Standardmodells der Teilchenphysik schwierig zu messen. Ein internationales Team hat jetzt eine neue und verbesserte W-Boson-Massenmessung des ATLAS-Experiments am CERN durchgeführt. An den Ergebnissen waren auch Physiker der Universität Bonn beteiligt: Dr. Philipp König und Dr. Oleh Kivernyk gehören zum ATLAS-Team, das die Ergebnisse jetzt bei der Konferenz „Rencontres de Moriond“ vorstellte. Die beiden Nachwuchswissenschaftler arbeiten in den Forschungsgruppen um Prof. Dr. Klaus Desch und Priv.-Doz. Philip Bechtle sowie Prof. Dr. Ian Brock am Physikalischen Institut.

Alle Bilder in Originalgröße herunterladen © CERN

Seit 40 Jahren macht das W-Boson Schlagzeilen. In den 1980er Jahren trug die Ankündigung seiner Entdeckung dazu bei, die Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung zu bestätigen – eine einheitliche Beschreibung von elektromagnetischen und schwachen Kräften. Heute testen Messungen seiner Masse (mW) die Konsistenz des Standardmodells, zu dessen Bildung er beigetragen hat.

Die Masse des W-Bosons ist eng verwandt mit der Masse der schwersten Teilchen der Natur, einschließlich des Top-Quarks und des Higgs-Bosons. Wenn jedoch zusätzliche schwere Partikel vorhanden sind, kann die Masse von der Vorhersage des Standardmodells abweichen. Indem sie direkte Messungen der W-Boson-Masse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, suchen Physikerinnen und Physiker nach Abweichungen, die ein Indikator für neue Phänomene sein könnten. Um gegenüber solchen Abweichungen ausreichend empfindlich zu sein, müssen Massenmessungen erstaunlich kleine Unsicherheiten in der Größenordnung von 0,01 Prozent aufweisen.

2017 veröffentlichte das ATLAS-Experiment am CERN die erste Messung der W-Boson-Masse des Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider (LHC), die einen Wert von 80.370 MeV mit einer Unsicherheit von 19 MeV ergab. Diese Messung war damals das genaueste Ergebnis eines einzelnen Experiments und stimmte mit der Vorhersage des Standardmodells und allen anderen experimentellen Ergebnissen überein. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die CDF-Kollaboration am Fermilab eine noch präzisere Messung der W-Boson-Masse und analysierte den vollständigen Datensatz des Tevatron-Colliders. Mit einem Wert von 80.434 MeV und einer Unsicherheit von 9 MeV wich es signifikant von der Standardmodellvorhersage und von den anderen experimentellen Ergebnissen ab.

Verbesserte Neuanalyse der W-Boson-Massenmessung

In einem neuen vorläufigen Ergebnis, das für die elektroschwache Moriond-Konferenz veröffentlicht wurde, berichtet die ATLAS-Kollaboration über eine verbesserte Neuanalyse ihrer ursprünglichen W-Boson-Massenmessung. ATLAS zeigt, dass mW 80.360 MeV beträgt – mit einer Unsicherheit von nur 16 MeV. Der gemessene Wert ist 10 MeV niedriger als das bisherige ATLAS-Ergebnis und stimmt mit dem Standardmodell überein.

Für diese neue Analyse haben die ATLAS-Physikerinnen und Physiker ihre im Jahr 2011 gesammelten Daten bei einer Schwerpunktsenergie von 7 TeV (entsprechend 4,6 fb-1, die auch in der vorherigen Messung von ATLAS verwendet wurden) erneut überprüft. Die Forscherinnen und Forscher wandten verbesserte statistische Methoden und Verfeinerungen bei der Behandlung der Daten an, wodurch sie die Unsicherheit ihrer Massenmessung um etwa 15 Prozent reduzieren konnten.

Beobachtung von Kollisionsereignissen

„Wir haben uns auf Kollisionsereignisse konzentriert, bei denen das W-Boson in ein Elektron oder ein Myon und ein entsprechendes Neutrino zerfällt“, erklärt Philipp König, Mitglied des Physikalischen Instituts und einer der Hauptanalysatoren dieser Messung. Die Forschenden bestimmten dann die Masse des W-Bosons, indem sie die kinematischen Verteilungen der zerfallenen Leptonen in der Simulation an die Daten angepassten.

„Der Hauptunterschied zwischen der 2017er und der neuen Messung liegt in der Methode, die zur Durchführung dieser Anpassungen verwendet wird“, sagt König. Das bedeutet: Während die bisherige Messung die verfügbaren Daten ausschließlich zur Bestimmung der W-Boson-Masse verwendet und nachträglich systematische Unsicherheiten hinzugefügt hat, bezieht die neue Messung gleichzeitig die systematischen Unsicherheiten mit der W-Boson-Masse zusammen ein. „Diese Verbesserung reduzierte mehrere systematische Unsicherheiten, insbesondere solche im Zusammenhang mit der theoretischen Modellierung der W-Boson-Produktion und des Zerfalls.“

Entscheidend für die Messung waren die Parton-Verteilungsfunktionen (PDFs) des Protons, die die relativen Impulse seiner Quark- und Gluon-Bestandteile modellieren. PDFs enthalten eine Vielzahl von Daten aus verschiedenen Teilchenphysik-Experimenten. Seit der letzten Messung wurden diese Sätze verfeinert, indem mehr Daten aufgenommen wurden. Die neue ATLAS-Messung bewertete die Abhängigkeit der gemessenen W-Boson-Masse von PDFs-Sets unter Berücksichtigung neuerer Versionen davon.

Zukünftige Messungen der W-Boson-Masse werden von anderen LHC-Experimenten sowie weiteren Studien von ATLAS unter Verwendung von Datenproben erwartet, die unter verschiedenen Pile-Up-Bedingungen und bei unterschiedlichen Schwerpunktsenergien aufgenommen wurden. Diese sollen unabhängige Auswertungen der bisher erzielten Versuchsergebnisse liefern.

Darstellung eines W-Boson-Zerfalls
Darstellung eines W-Boson-Zerfalls © ATLAS-Kollaboration / CERN

Diese Animation zeigt die Ansicht eines möglichen W→μν-Ereignisses aus Proton-Proton-Kollisionen bei einer Schwerpunktsenergie von 7 TeV am LHC.Ausgehend vom Zentrum des ATLAS-Detektors sind die rekonstruierten Bahnen der geladenen Teilchen im Inneren Detektor (ID) als rote Linien dargestellt. Die Energieeinträge in den Kalorimetern sind als gelbe Kästchen dargestellt. Das identifizierte Myon ist als längere rote gestrichelte Linie dargestellt. Der fehlende Transversalimpuls wird durch eine grün gestrichelte Linie dargestellt.

Improved W boson Mass Measurement using 7 TeV Proton-Proton Collisions with the ATLAS Detector (ATLAS-CONF-2023-004); https://atlas.web.cern.ch/Atlas/GROUPS/PHYSICS/CONFNOTES/ATLAS-CONF-2023-004/

Dr. Philipp König
Physikalisches Institut der Universität Bonn
E-Mail: koenig@physik.uni-bonn.de
Tel.: +49 228 73 3209

Dr. Oleh Kivernyk
Physikalisches Institut der Universität Bonn
E-Mail: oleh.kivernyk@cern.ch
Tel.: +49 228 73 2445

Priv.-Doz. Philip Bechtle
Physikalisches Institut der Universität Bonn
E-Mail: bechtle@physik.uni-bonn.de
Tel.: +49 228 73 2242

Prof. Dr. Klaus Desch
Physikalisches Institut der Universität Bonn
E-Mail: desch@physik.uni-bonn.de
Tel.: +49 228 73 3236

Wird geladen